Juliushütte wechselvolles Schicksal

Gedenkstein Ellrich-Juliushütte

Nur wenige Orte in der Südharzregion wurden derartig von Turbulenzen heimgesucht wie Juliushütte zwischen 1944 und 1964. Von den Mächtigen wurde dieser Ort missbraucht, geschunden und ausgelöscht.

An zahlreichen Stellen der Südharzer Karst-landschaft wurden in den letzten Kriegsjahren unterirdische Produktionsstätten für Flugzeugteile und V-Waffen errichtet, so in der Heimkehle bei Uftrungen, bei Stempeda, Niedersachswerfen, Woffleben und Ellrich.

Das größte Objekt dieser Art war das rund 40 km lange Stollensystem des Kohnsteins bei Niedersachswerfen, in dem rund 35 000 Häftlinge die V 1 und V 2 bauten.

Die Siedlung entstand mit den Gipsbrüchen am Nordhang des Pontelberges. Nach Julius Bergmann, dem Begründer der Gipsfabrik wurde das wenige Hektar große Areal benannt. Zwischen Ellrich und Juliushütte verlief die braunschweigisch-preußische Landesgrenze und Juliushütte gehörte zu Walkenried.

Nur, wem mag das bekannt gewesen sein? Die kilometerweiten Forstwege nach Walkenried wurden kaum genutzt. Die Juliushütter fühlten sich zu Ellrich zugehörig. Ellrich hatte schon am Schwanenteich ein Konzentrationslager als noch ein zweites in Juliushütte zum 1. Mai 1944 eingerichtet wurde. Es war ein Außenlager von Dora und bekam den Decknamen „Erich“. Es sollte eines der schlimmsten Lager werden. Fabrikräume wurden als erste Unterkunft genutzt. Geschlafen wurde anfangs auf nacktem Beton. Mit dem Anstieg der Häftlingszahl wurden nach und nach Holzbaracken gebaut und mit Stacheldraht eingezäunt. Infolge des nicht nachlassenden Häftlingszustromes mußten die Bewachungseinrichtungen des öfteren verlegt und erweitert werden.

Not und Elend auf begrenztem Raum. Hunger und Krankheit, begünstigt durch Ungeziefer, ließen die Sterbeziffer dramatisch ansteigen. Die hiesigen klimatischen Bedingungen mit bis zu unter 20 Grad im Winter auf 45 forderten zusätzlichen Tribut bei den geschundenen und ausgezehrten Häftlingen. Eine ständige Belegzahl von 8.000 Menschen machte den Bau eines Krematoriums notwendig. Die Kapazität desjenigen im Hauptlager Dora konnte die vielen Toten aus Ellrich nicht aufnehmen. Aus diesem Grunde schwelten wochenlang zunächst die Scheiterhaufen über dem Tal.

Allein am 18. und 19. März 45 wurden hier 317 Menschen verbrannt. Das Außenlager Erich war ein Todeslager, grausam und gefürchtet seine Führung! Besonders Lagerkommandant SS-Hauptsturmführer Fritzsch, der sich rühmte, zuvor in Auschwitz Tausende Häftlinge eigenhändig umgebracht zu haben. Der kursierende Spruch unter den Neuankömmlingen hatte Gültigkeit: „Kamerad, überall hast du eine Chance zum Überleben; aber kommst du nach Ellrich, so gibt es kein Entrinnen.“

Tunnel nach EllrichMärz 1945, es zeichnete sich die Kriegswende ab, wie lange noch? Jeder der Häftlinge versuchte sich bei Kräften zu halten. Nur jetzt nicht schlappmachen! Als im April das Lager geräumt wurde, ging die Hoffnung als Wegzehrung mit auf den Todesmarsch, verschwanden auch die Bewacher. Die ständige Bedrohung, selbst hinter dem Zaun zu verschwinden, hatte die Juliushütter Bewohner, die wenigen verbliebenen und die zwangsverlegten zum Schweigen gebracht. Nun hatten sie und auch die Ellricher Gelegenheit, das KZ-Lager zu betreten. Es war Grauen und Entsetzen über das, was vor ihrer Haustür geschehen war. Einhellig wird über Schwärme von Flöhen berichtet, Schmutz, Gestank – und Leichen. Trotz allem ging für die Zivilbevölkerung das Leben weiter.

Viel Zeit zum Darübernachdenken blieb wohl nicht. Front und die Bombenangriffe rückten näher. Der Südharz wurde bis zum 11. April von der US-Armee besetzt. Der Krieg war vorbei. Flüchtlinge vor sich her treibend zog Anfang Juli die Rote Armee in Ellrich ein. „Man darf nicht nur die Bäume schützen, nicht auf einem Platz, auf dem sich vor 45 Jahren keine helfende Hand den Verzweifelten entgegenstreckte“. Dies gemahnte die Initiatorin Ruth Monicke aus Walkenried am 13. Mai 1990 in ihrer Einweihungsrede für den Gedenkstein (siehe Photo ganz oben) im Beisein vieler Besucher aus Ellrich, Walkenried und Europa.

Juliushuette
Gipswerk Juliushütte um 1900

1944/45, der fürchterliche 2. Weltkrieg ging zu Ende. Die Menschen, die in der Nähe wohnten, sahen fassungslos, was sich im KZ-Lager abgespielt haben musste.

Der Alptraum wechselt die Uniform! Juliushütte wurde erneut heimgesucht. Das Gezerre zwischen Ost und West traf die Juliushütter, die vorher schon unter Bedrohung und Auflagen gelebt hatten, besonders hart. Der Krieg war vorbei, aber die Menschen kamen nicht zur Ruhe. Flüchtlinge und Grenzgänger wechselten die Grenze bei Tag und Nacht auf Schleichwegen.

Die Lagerbaracken dienten als Unterschlupf für Heimatlose. Der Eisenbahnverkehr war eingestellt, die Grenze zwischen Ost und West scharf bewacht, aber noch ohne Zaun. Züge verkehrten im Westen nur bis Walkenried. Ankommende und abfahrende Züge waren bis auf das letzte Trittbrett und den letzten Pufferplatz besetzt.

Ein Menschenstrom war über Jahre unterwegs, ein steter Wechsel über die Grenze, auf der Suche nach Angehörigen, die in den Kriegswirren verloren gingen oder nur, um einen Salzhering im Westen zu ergattern. Schieber und „Grenzführer“ mischten mit.

Wieder spielten sich um Juliushütte unbeschreibliche Szenen des Leides ab. Beraubt und in den Wäldern ausgeplündert wurde so mancher und hatte dabei Glück, wenn ihm nichts Schlimmeres widerfuhr. An der Grenze wurde verhaftet und geschossen, so mancher verlor sein Leben. Vor Mord und Totschlag mußte jeder Angst haben. In der Gesetzlosigkeit der Zeit hatten dunkle Elemente Hochkonjunktur. Unter Anderen trieb auch der Massenmörder Rudolf Pleil hier sein makabres Unwesen. Auch im Gebiet Himmelreich, suchte er sich unter den Grenzgänger seine Opfer im später so genannten Mordwäldchen. Der jüngste, noch unaufgeklärte Mordfall geschah am Himmelfahrtstag 1996 wiederum im Mordwäldchen. Es scheint, der Ruch des Unheimlichen bleibt der Gegend um Juliushütte erhalten.

Erst mit der rigorosen Verschärfung der Grenze zur DDR, mit dem Bau des meterhohen Grenzzaunes kehrte in Juliushütte Ruhe ein. Die Holzmehlfabrik Trinks produzierte wieder, eine Trafostation mußte die Firma mit Strom versorgen, die Straße nach Walkenried ausgebaut werden. R. Buzas versorgte zwar die Bewohner mit dem Nötigsten in seinem Lebensmittelgeschäft, doch die Kinder hatten einen weiten Weg zur Schule. Arbeitsstellen gab es nur in Richtung Westen, der tägliche Weg war weit und beschwerlich. Nach und nach verließen einige Bewohner Juliushütte. 1955 brannte die Holzfabrik Trinks bis auf die Grundmauern ab. In Nebengebäuden verloren einige Familien ihre Wohnungen, ehe die Feuerwehren das unzugängliche Gebiet erreichten. Es wurde stiller im kleinen Örtchen. Mehr und mehr wurde es verlassen.

Nach Abzug der sowjetischen Einheiten nutzte die DDR-Führung den Anblick der verkohlten Ruinen und Baracken zu Propagandazwecken. Busladungen mit Ausflüglern aus dem Hinterland wurden nach Ellrich gebracht, um ihnen einen Einblick in den „goldenen Westen“ zu gewähren. Nach der Umsiedlung der letzten Bewohner war Juliushütte ganz dem Verfall preisgegeben. Die obersten Behörden beschlossen den Abriß; 1964 wird alles abgerissen, gesprengt, eingeebnet ausradiert! Nach und nach zeigte die Aufforstung Wirkung. Nur noch der offizielle Grenzübersichtspunkt auf dem Pontelberg ließ einen Blick über Ellrich zu. Juliushütte wurde zunehmend vergessen, die Abschottung durch die Grenze trug dazu bei.

Und das KZ-Lager? Wurde es in den ganzen Wirren vergessen? Die Zeit schien vielleicht günstig, unrühmliches Zeugnis wurde gleich mit abgeräumt. Eine aktenkundige Angelegenheit wurde es noch 1951, als ein Grenzzollbeamter in einer Geländemulde Schädel und Knochen fand. Die Funde waren eindeutig dem KZ zuzuordnen. Weitere Nachforschungen wurden anscheinend nicht vorgenommen. Mit den Jahren bewaldete das Gebiet um Juliushütte, es wurde unter Naturschutz gestellt. Nur der kleine Gedenkstein erinnert noch an das KZ-Lager Ellrich. Quelle: Ruth Monicke

Literatur:

Mittelbau-Dora bei Nordhausen 1943-1945 ein Überblick,
von Peter Kuhlbrodt, Landratsamt Nordhausen, Kulturamt 1991, 20 Seiten

KZ Korrespondenz digitalisiert

Auf der Webseite http://concentratiekamp.startkabel.nl/ von Esther Samuelsen ist zum Thema Holocaust eine besonders ausführliche Sammlung an weiterführenden Links und Informationen entstanden, die ich besonders gerne weiterempfehlen möchte.