Urkundenlehre : Katechismus der Diplomatik, Paläografie, Chronologie und Sphragistik

Jede Überlieferung geschehener Tatsachen wurde entweder durch mündlich Erzählung oder durch schriftliche Aufzeichnung vermittelt. Die mündliche Überlieferung hat mit dem Wesen der Urkunde nichts gemein;
die schriftliche Aufzeichnung dagegen kann entweder den Charakter einer einfachen Erzählung einer Tatsache haben und ist in diesem Fall Geschichtserzählung, Chronik. Auch dieses schriftliche Zeugnis deckt sich nicht mit dem Wesen der Urkunde.

Für den Begriff Urkunde ist die Form und nicht der Inhalt maßgebend (so z. B. Ficker) Er führt die Möglichkeit an, dass man auch für Tatsachen von rein geschichtlichem Interesse (Umstände der Weihe, Grundsteinlegung eines Denkmals) beurkundete, ohne dabei an eine Verwendung für Rechtszwecke zu denken.

Die Urkundenlehre lässt sich bezeichnen als die Lehre, welche die Vermittlung der Kenntnis äußerer und innerer Merkmale der Urkunden zum Zweck ihrer Wertbestimmung, als schriftliche und in entsprechende Form gekleidete Zeugnisse über Gegenstände rechtlicher Natur, systematisch durchführt.

Kardinal Unterschriften

Kardinal Unterschriften 2

Aus dem Inhalt:

  1. Urkunden überhaupt, deren Charakter, Gattungen, Arten, Altertum, Echtheit, Fälschungen und deren Ursachen, Schreibmaterial und Schriftarten
  2. Lehre vom Urkundenstil und den Kanzleibräuchen bei Vollziehung der Urkunden, als: Unterschriften und Monogramme, Rekognitionszeichen, Siegel; daran schließt sich eine Geschichte des alten fränkischen Kanzleipersonals und eine Abhandlung von den Daten der Urkunden und deren Unterscheidungen.
  3. Kritik der Papebrochischen (Daniel Papebroch) Regeln mit einer Abhandlung über die „notitiae“ und alten „Chartularien und Copialbücher„.
  4. Dieser Abschnitt handelt von den alten Pfalzen der fränkischen Könige, wichtig für die Erläuterung der ältesten Diplomatik.
  5. Schriftmuster und deren Erläuterung mit 58 großen Kupfertafeln.
  6. Sammlung von über 200 Diplomen vom Jahre 471 bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, als Beleg für die aufgestellten Lehrsätze.
    Das Supplement enthält einzelne, teils diplomatische, teils historische und chronologische Nachträge.

Deutsche und Franzosen wetteiferten förmlich in der Kultur dieser Wissenschaft und es galt die einzelnen Bestandteile auszubauen. So entstand eine Reihe von Werken, welche die einzelnen Merkmale der Urkunden zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung hatten wie bei „Heineccius 1709“ über die Siegel, „Baudis 1737“ über die Monogramme, „Baring 1737“ über die Schriftzeichen, sowie Werke von „Scheuchzer, Rodriguez, Walther“ usw.

Das „Chronicon „Gottwicense“ verdient wegen seiner Bedeutung für die deutsche Diplomatik eine besondere Beachtung. Der Urheber dieses Werkes war der gelehrte Abt des Klosters Göttweig, Gottfried von Bessel (1672-1749) Bessel war Rektor der Universität Wien und seine Forschungen zur Urkundenlehre  gelten als wegweisend.

Nicht unerwähnt bleiben darf  (wenn es um die Förderung der neuen Wissenschaft geht) der Gelehrte Johann Heumann von Teutschenbrunn, Professor in Altdorf mit seinem Werk: „Commentarii de re diplomatica imperatorum ac regum Germanorum inde a Caroli M. temporibus adornati. Norimbergae 1745″. Heumann war es, der ausser der Betrachtung der äußeren Merkmale der Urkunden auch den inneren Eigenschaften, insbesondere dem Rechtsinhalt die nötige Berücksichtigung zuwandte und sich ausserdem dadurch hervor tat, dass er eine vollständige Liste der Urkunden der von ihm behandelten Fürsten erstellte (mit der Unterteilung von echten und gefälschten)

Quelle:

Friedrich Leist: Urkundenlehre : Katechismus der Diplomatik, Palaografia, Chronologie und Sphragistik, 2. Auflage, Leipzig: Verlagsbuchhandlung J.J. Weber, 1893