Willi Behrens aus Techentin

Massenmörder Rudolf Pleil und Kurt Schindler

Meinen Großvater Willi Behrens * 20.8.1905, habe ich als großen, sehr starken und (für meine Begriffe) unglaublich charismatischen Mann in Erinnerung.

Er war fleißig unbestritten, klug, mutig und streng. Ab 27.12.1939 setzte ihn Otto Wenzel, Inhaber einer Holzhandlung in Halle und spezialisiert auf Reichsbahn-Schwellen als Verwalter auf seinen Besitz Berkau ein. (Die komplette Buchhaltung mit allen Quittungen und Briefen aus dieser Zeit ist erhalten geblieben)

Dessen Gemahlin Ursula, wurde die Patin der jüngsten Tochter Gerda. Otto Wenzel schickte ihn am 20.2.1941 nach Loccum (Kreis Nienburg) um dort einen größeren Auftrag auszuführen. Dabei ging es um die Aufarbeitung von Kiefern Langholz.

willi-behrensDer zuständige Forstmeister zu jener Zeit hieß Heisicke, die Helfer Schüler, Jagnow, Loeper und Jammrath. Am 19.1.1940 übertrug Wenzel ihm die Bewirtschaftung der landwirtschaftlich genutzen Flächen und die Aufsicht über die Forstflächen auf seinem Gut, Haus Waldfried, in Straach bei Wittenberg. Die Vergütung betrug jährlich 972,56 RM (Gutsbeamtentarif § 5) Viele Geschichten aus seinem Leben sind in meiner Erinnerung auch heute noch wach, besonders mein Onkel Walter versteht es, aus dem Leben seines Vaters überaus treffend und spannend zu berichten.

Ehejahre in Königerode

Großvater Behrens ist durch seine 1. Ehefrau, meine Oma Melitta im Harz sesshaft geworden. Ihre gemeinsame Wohnung hatten sie in Königerode, über diese Zeit wurde ausführlich von Manfred Bornemann in seinem Buch „Ilfeld 1940-1950“ berichtet. Mein Urgroßvater und auch mein Opa kommen ebenfalls darin vor, auch wenn sich das Leben nicht ganz so abgespielt hat, wie in diesem Buch beschrieben.

Das zum Stiftsgut Ilfeld gehörende Vorwerk Königerode liegt am Fuhrbach, da wo die Straße Ilfeld-Appenrode diesen Bach überquert. Dicht an der Straßenbrücke stand zwischen der Straße und dem Wald ein zweigeschossiges Wohnhaus, das aus Eichenbalken und weiß getünchten Fachwerk gebaut war.koenigerode

Vor dem Haus an der Straße wo der Bach entlangläuft, stand eine uralte Weide. Wer ins Haus wollte musste den Bach auf einer Holzbrücke überqueren. Während des Krieges in einem der Ställe, wurden etwa 100 französische Kriegsgefangene untergebracht. Sechs bis acht Deutsche Wachtposten waren im Erdgeschoss des Wohnhauses untergebracht.

Im Stall standen nach wie vor schwarzbunte Kühe, die auf den Koppeln am Hummelskopf ihre Weiden hatten. So sah es in Königerode aus, als unsere Familie im November 1940 ins Obergeschoss des Fachwerkauses einzog. Als ein oder zwei Jahre später die Posten und die Gefangenen abzogen, bewohnte meine Familie das Haus bzw. den Ort allein.

In der Schäferei gab es nur noch zwei Kühe. Mit einem leichten Einspänner wurde jeden Abend die Milch ins Stiftsgut nach Ilfeld gefahren. Zu dieser Zeit war mein Opa noch in Kriegsgefangenschaft.

Meine Mutter und die drei Geschwister gingen in Appenrode zur Schule und die Ilfelder Schüler beneideten sie um den einsamen Wohnort in romantischer Umgebung, hatten sie doch den Bach mit Flusskrebsen und Forellen, die Wiesen und den Wald direkt vor der Tür. Die Romantik ist bis heute erhalten geblieben, auch wenn nicht einmal ein Stein davon zeugt, wie es zu jener Zeit dort aussah.

Am 13.4.1945 erreichten amerikanische Truppen mit Jeeps und gepanzerten Fahrzeugen, von Appenrode aus kommend das Vorwerk – sie wollten nach Ilfeld, der Krieg war zu Ende! Im Sommer 1945 brachte die sowjetische Besatzungsmacht ca. 180 Pferde zum Vorwerk und dazu eine Truppe von ca. 10 bis 12 Soldaten, befehligt von einem Major. Bezogen wurde hierzu die Schäferwohnung. Aus dieser Zeit kann meine Familie nichts Negatives berichten, der Major achtete mit strenger Disziplin darauf, dass Ruhe und Ordnung herrschten.

Für meinen Onkel und seinen Bruder gab es nichts Schöneres zu jener Zeit. Nach der Schule so schnell es ging, ab auf die Pferdekoppel und zu den „Russen“. Oftmals bekamen die beiden Lebensmittel, unter anderem Fleisch, weil die Sowjets sehr viel Wild abschossen.

Oder mein Onkel tauschte Lebensmittel gegen Schnaps. Es war jedenfalls nicht die schlechteste Zeit, andere traf es bei weitem härter. Das war auch nicht die erste Besetzung durch die Sowjets, sondern bereits ein Jahr vorher kamen sie dorthin, im Schlepptau von drei Frauen, abstammend aus Bessarabien (dem rumänischen Teil) ob sie gezwungen wurden, darüber sprachen die Frauen niemals. Aber bestimmt hatten sie Schreckliches erlebt.

Besonders eine, ihr Name war Emma Ley, wird uns allen für immer in Erinnerung bleiben. Emma lebte bei uns und gehörte zur Familie. Sie starb leider bereits recht früh, denn sie litt viele Jahre an TBC. Ihr einziger Sohn Manfred (in Königerode geboren) studierte Maschinenbau und wohnt noch heute in der Nähe.

Erst 1945 wurde Königerode mit Strom versorgt, meine Familie war darüber hoch erfreut, übrigens auch über den Schutz, den der Major und die Soldaten ihnen gewährten, denn noch immer war mein Großvater in Gefangenschaft und meine Oma mit den vier Kindern allein. Schutz hatte meine Familie auch nötig, denn viele Fremde, aber auch ehemalige Zwangsarbeiter zogen plündernd und raubend durch den Harz. Sie überfielen Gehöfte um Beute zu machen.

Im Sommer 1946 zogen die sowjetischen Soldaten ab, es wurde wieder ruhig. Da überall Wohnungsnot durch die vielen heimatlosen Menschen herrschte, wurden auch im Vorwerk Leute untergebracht. Königerode bot so insgesamt 17 Menschen Unterkunft. Die Familien „Paulsen und Jülich“ zogen nun in die Schäferwohnung ein. Der „alte“ Paulsen war Schafmeister und er brachte aus Wiegersdorf 30 Schafe mit sich. Gehütet wurde die kleine Herde von einem der Söhne. 1946 kam mein Großvater aus der Gefangenschaft zurück und verdiente den Lebensunterhalt für die Familie mit einem kleinen Fuhrunternehmen Den kleinen Ort am Fuhrbach haben in den ersten Nachkriegsjahren viele Menschen passiert: Heimatlose, entlassene Wehrmachtsangehörige, Grenzgänger.

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Mein Urgroßvater Hermann Liesegang (hier ein Bild seiner schönen Frau Marie) hatte während der Kriegszeit die Pferde gehütet (eines war eingefangen worden, ein weiteres dazugekauft worden)

Massenmörder Rudolf Pleil und Kurt Schindler

1946 gab es eine außerordentlich gefährliche Begebenheit, wohlmöglich hat mein Großvater dazu beigetragen, einer Frau das Leben zu retten: zu diesem Zeitpunkt war die Witwe Lydia Schmidt, damals 55 Jahre alt, aus Arnstadt kommend und auf der Heimreise nach Kiel.

Die Zonengrenze wollte sie bei Ellrich überschreiten. Auf der Fahrt nach Nordhausen lernte sie zwei junge Männer und eine junge Frau kennen und alle gemeinsam fuhren mit der Harzquerbahn bis Ilfeld.

Hier gingen sie am Friedhof und am Waldrand unter der Frauenburg entlang bis an die Mündung des Silberbaches. Lydia Schmidt hatte mehrere Flaschen Nordhäuser Korn im Rucksack und so tranken alle gemeinsam davon und unterhielten sich.

Dummerweise erzählte Lydia Schmidt auch von einer zu erwartenden kleinen Erbschaft. Das alles war am 12.12.1946. Im letzten Moment realisierte sie was da mit ihr geschehen sollte, sie wehrte noch ein paar Knüppelschläge mit ihren Händen ab bevor sie zusammenbrach – so brutal waren die Männer vorgegangen.

Irgendwann erwachte sie aus ihrer Ohnmacht und taumelte ziellos durch die Gegend schwer verletzt und blutend. Ihr Rucksack war weg, ebenso die Männer und die junge Frau! So irrte sie durch den Sandberg und den Dornberg, bis sie auf die Strasse traf und dieser folgte.

An diesem Tag arbeitete mein Großvater zusammen mit meinem Onkel Walter und dessen Bruder in der Nähe des Waldes und sahen die torkelnde Frau. In aller Eile brachte man sie sogleich ins Haus um ihre Wunden zu versorgen so gut es ging. Mein Großvater hatte inzwischen den Arzt Dr. Blumenthal aus Ilfeld benachrichtigt. Dieser kam so schnell er konnte mit seinem Fahrrad und in Begleitung seines Schäferhundes. Nach der Erstbehandlung wurde Lydia Schmidt nach Neustadt ins Krankenhaus transportiert und es dauerte mehrere Monate, bis sie das Krankenhaus wieder verlassen konnte. Sie selbst erfuhr erst nach Jahren, wer sie überfallen und so schlimm zugerichtet hatte. koenigerode1

Dr. Paul Blumenthal verstirbt 1950. Damit musste eine jahrzehntelange Arztpraxis geschlossen werden. (Vorherige ärztliche Betreuung der Einwohner durch Kreisarzt Dr. Gerlach, dann Dr. Paul Blumenthal sen.)

Es waren „RUDOLF PLEIL“ und sein Komplize „KURT SCHINDLER“, die sich 1950 in Braunschweig vor Gericht verantworten mussten wegen vieler begangener Morde.

Rudolf Pleil ist als „TOTMACHER“ und einer der schlimmsten Massenmörder in die Geschichte eingegangen. Es ist ein Wunder dass Lydia Schmidt das alles überlebt hat – indirekte Hilfe also leistete mein Großvater, denn er war zur richtigen Zeit am richtigen Platz – Gottlob!

In der Nachkriegszeit passierten tausende Deutsche die Grenze von Ost nach West und umgekehrt. Grenzführer boten ortsunkundigen Reisenden Schutz an. Viele kamen nie auf der jeweils anderen Seite an, verschwanden buchstäblich im Niemandsland, denn oft war dieses Hilfsangebot eine Falle. Rudolf Pleil war so ein Grenzführer. Einer, der Frauen auf ihrem Weg über die Grenze bestialisch erschlug, vergewaltigte und ausraubte. 1947 wurde er nach einem Raubmord verhaftet und gestand 27 Morde.

Das Vorwerk muss 1947 geräumt werden

Im Herbst 1947 musste das Vorwerk geräumt werden, weil der Ort kurzerhand zum Manövergebiet erklärt wurde. Die Familie Paulsen schaffte ungeschoren mit ihrer kleinen Herde den Grenzübertritt bei Ellrich. Meine Familie bezog eine Wohnung in der Ilgerstrasse 26. Im gleichen Haus war die Kreissparkasse und daneben die „VILLA GOELLMER“ zu der es auch eine Geschichte gibt. Dort sollen einige Menschen (überwiegend gefasste Grenzgänger) im Keller von den Russen ausgeplündert und vergewaltigt worden sein. In dieser Villa gab es eine Dienststelle des „NKWD“ Volkskommissariat des Innern in der Sowjetunion.

In Ilfeld wurde es wieder ruhiger und meine Familie zog in die Friedrich Ebert Str. 6, vorheriger Name: „Neue Strasse“ das Haus kaufte er Anfang der 50er. Die vielen Jahre der Kriegsgefangenschaft und die vielen Jahre des Alleinseins hatten der Ehe nicht gut getan. Meine Großeltern ließen sich scheiden. Mein Großvater verließ Ilfeld und ging zurück in seine Heimat Mecklenburg.

Dort heirate er ein zweites Mal. Ursel Wenzel, verwitwete Haufschild, sie brachte vier Kinder mit in die Ehe: Heinz, Heidi, Anita, Margitta. Heinz Haufschild versah Dienst an der innerdeutschen Grenze, wo so viele bei der Flucht ihr Leben lassen mussten und war auch geraume Zeit Bürgermeister in Wöbbelin bei Ludwigslust.

Mein Großvater machte in späteren Jahren (ca. 50-jährig ) noch einen Abschluss als Agrartechniker. Dann aber erlitt er einen schlimmen Unfall der ihn zwang, nach seiner Genesung als Nachtportier zu arbeiten. Nach schwerer langer Krankheit ist er dahingeschieden.

Meine Oma hingegen, eine Frau die genauso fantastisch ist wie meine Mutter, lebte und starb in Ilfeld. Für ihre Kinder hat sie gekämpft wie eine Löwin. Immer dachte sie zuerst an andere. Meine Großmutter war die letzte Liesegang die in Königerode gelebt hat.

Das ist so bedeutsam, weil ausgerechnet „Königerode und Bettlershayn“ als Ursprungsorte der Liesegangs anzusehen sind bis der Fleglerkrieg alles zunichte machte.

Zum Ende hin noch ein paar konkrete Zahlen zum Vorwerk Königerode: nach statistischen Unterlagen aus dem vorherigen Jahrhundert waren bei der Volkszählung am 1.12.1885 zwei Wohngebäude und 15 Bewohner angegeben.

Literatur:

Ilfeld 1940-1950, Beiträge zu einem Jahrzehnt Heimatgeschichte, von Manfred Bornemann, herausgegeben im Selbstverlag, Hamburg 1984